Kindesunterhalt – gesteigerte Pflicht des Unterhaltspflichtigen

Anforderungen an die Erwerbsobliegenheit eines selbstständig tätigen Unterhaltsschuldners zum Kindesunterhalt und Einsatz des Vermögensstammes.
OLG Hamm, Beschl. v. 10.4.2018 – II-1 UF 186/17

Das OLG Hamm hat in seiner Entscheidung zum Az. II-1 UF 186/17 vom 10.04.2018 nochmals klar definiert, welche Anforderungen an den Unterhaltspflichtigen zur Leistung von Kindesunterhalt in der Mindeststufe gestellt werden.

In dem Fall ging es um einen selbständigen Unterhaltsschuldner, der lediglich 1.200 € brutto verdiente. Er hatte keine abgeschlossene Berufsausbildung und war zuletzt als Geschäftsführer eines Juweliergeschäfts tätig.

Ein verschärft haftender Unterhaltspflichtiger habe sich intensiv, d.h. unter Anspannung aller Kräfte und Ausnutzung aller vorhandenen Möglichkeiten um die Erlangung eines hinreichend entlohnten Arbeitsplatzes zu bemühen. Er müsse alle verfügbaren Mittel für den Unterhalt der Kinder verwenden, alle Erwerbsmöglichkeiten ausschöpfen und auch einschneidende Veränderungen in seiner eigenen Lebensgestaltung in Kauf nehmen, um ein die Zahlung des Mindestunterhalt sicherstellendes Einkommen zu erzielen.

Bei eigener Arbeitslosigkeit habe sich der Unterhaltsschuldner durch intensive Suche um eine Stelle zu bemühen; bei Arbeitsstellen mit geringerem Einkommen sei entweder eine neue Arbeitsstelle oder eine weitere Beschäftigung zu suchen, um zusätzliche Mittel zu erlangen (BGH FamRZ 2014, 637; OLG Karlsruhe FamRZ 2017, 1575). Für die ordnungsgemäße Erfüllung sämtlicher der zuvor dargestellten Voraussetzungen sei der Unterhaltsverpflichtete darlegungs- und beweisbelastet. Um den Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast zu genügen, müsse der Unterhaltsschuldner in nachprüfbarer Weise vortragen, welche Schritte er im Einzelnen unternommen hat, und diese dokumentieren.

Ausgehend von den Angaben des Antragsgegners kommt das OLG Hamm zu dem Schluss, dass die erst selbstständige und nunmehr angestellte Tätigkeit des Antragsgegners entweder nicht lukrativ sei, weil das Einkommen in keinem Verhältnis zu dem Arbeitsaufwand stehe, sich insoweit als „Liebhaberei“ darstelle oder aber tatsächlich höhere Einkünfte erzielt würden. Der Antragsgegner könne sich gegenüber seinen minderjährigen Kindern nicht darauf berufen, eine solche völlig unwirtschaftliche Tätigkeit zu ihren Lasten fortsetzen zu wollen.

Im Übrigen treffe den Antragsgegner als Unterhaltsschuldner die Obliegenheit, im Interesse der Unterhaltsberechtigten seine Arbeitskraft so gut wie möglich einzusetzen. Tue er dies nicht, so müsse er sich im Rahmen der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit fiktive Einkünfte anrechnen lassen, die er durch eine zumutbare Erwerbstätigkeit erzielen könnte. Das bedeutet, dass der Antragsgegner gehalten ist, eine Tätigkeit im Angestelltenverhältnis aufzunehmen. Zu etwaigen Versuchen, eine angestellte Tätigkeit zu finden, habe der Antragsgegner nichts vorgetragen.

Dem Antragsgegner kann auch schon ab dem 1.6.2016 Einkommen aus einer fiktiven Tätigkeit zugerechnet werden. Entweder verfüge er sowieso über ausreichendes Einkommen oder er hätte sich bis dahin eingestehen müssen, dass seine Tätigkeit unwirtschaftlich ist und der diese aufgeben müsse.


Zur Ermittlung der fiktiven erzielbaren Einkünfte zieht das OLG Hamm das Tarifregister NRW und das WSI-Tarifarchiv der Hans-Böckler-Stiftung heran und ermittelt anhand dieser Daten ein durchschnittlich erzielbares Einkommen des Antragsgegners.

OLG Hamm, Beschluss vom 10.04.2018, II- UF 186/17

IB Unterhaltsbrief, 04/2019